Touristik Talk

Wasmitreisen - Das erste Reiseradio für Profis im Internet

Touristik Talk

Hintergrund, Klatsch und Service für Touristik-Profis

Reiseteile bald ohne Leser?

Lautsprecher 197 – der „Was mit Reisen“-Standpunkt

cropped-drensek_kommentar.jpgZu Anfang eine gute Nachricht: der Reiseteil in deutschsprachigen Zeitungen hat 60 mal mehr Leser als der Lokalsport. Und immerhin noch doppelt so viele Nutzer, wie das Feuilleton. Jetzt könnten wir am besten aufhören mit den Zahlen und einfach nur uns selbst auf die Schulter klopfen, dass wir Reisejournalisten scheinbar doch so nah dran sind am Interesse derjenigen, für die wir arbeiten.
Leider sind Prozentwerte nur zu schnell Lug und Selbstbetrug. Tatsache ist nämlich, dass überhaupt nur 6 Prozent der Leser den Reiseteil überhaupt zur Kenntnis nehmen. 94 Prozent werfen ihn also zur Seite, ohne ihn zu öffnen. Und es geht geradezu dramatisch weiter, was mit Eyetracking und Readerscan herausgefunden wurde. Von den kümmerlichen 6 Prozent ist die Hälfte bereits nach zwei Sekunden wieder raus. Nach dem ersten Satz nämlich. Wenn das keine Bankrotterklärung für die Leistungen der lieben Kolleginnen und Kollegen ist…
Nochmal anders formuliert, weil es so gruselig ist: bei einer Regionalzeitung mit 200.000 Lesern bleiben gerade mal 6.000 Lesewillige übrig. Und das vor dem Hintergrund, dass 80 Prozent der Deutschen gerne reisen. Was läuft da falsch? Vor allem, da sich analoge Werte auch bei den elektronischen Medien und dem Internet nachweisen lassen.
Jüngste Hiobsbotschaft für die Reisejournalisten: selbst der hochgelobte und mehrfach ausgezeichnete Reiseteil der ZEIT wird als eigenständiges Produkt eingestellt und geht auf in einem Lifestyle-Magazin. Vielleicht seine letzte Chance, um seinen Geschichten die nötige Relevanz beim Leserinteresse zu erhalten.
Der jüngste Readerscan, durch den sehr genau erkannt wird, an welchem Punkt der Story die Nutzer wieder aussteigen – wenn sie überhaupt eingestiegen sind – bringt weitere Erkenntnisse. Die wenig emotionalen Reisebeschreibungen, vielleicht noch in der Ich-Form, langweilen. Reiseteile, die in der Themenzusammensetzung beliebig daherkommen, ohne Bezug auf aktuelle Ereignisse, auf momentane Gesprächsthemen, Jubiläen oder kreatives Story-Telling werden durch Nicht-Beachtung abgestraft. Viel zu häufig hatten die Untersuchenden den Eindruck, die Themen sind abhängig vom Zufall der Presseeinladungen oder den persönlichen Vorlieben des Reiseredakteurs.
Das sind alles Ohrfeigen für die Journalistenseite, dass sie ihren Job nicht gut macht. Aber in der symbiotischen Verflechtung der Medien mit der touristischen Industrie und deren PR geht die Rote Karte natürlich auch an die Organisatoren der meisten Recherchereisen, ohne die kaum eine Reiseberichterstattung heute möglich wäre. Die Programme sind zu allgemein, zu vollgepfropft mit nichtssagenden Terminen, nicht offen genug für das Finden eigener Themen. Da wird zu viel Rücksicht genommen auf die Befindlichkeiten aller Sponsoren, sodass am Ende der Reise die Teilnehmer zwar viel gesehen haben, aber allenfalls auf dem Niveau einer mittelprächtigen Studienreise geblieben sind. Wenn man das wiegt, muss man es als zu leicht befinden als Grundlage für eine professionelle journalistische Arbeit.
Bei fast allen Reiseteilen fangen die Totenglöckchen daher an, leise zu bimmeln. Beim Radio und Fernsehen gibt es schon länger wegen der viel höheren Produktionskosten nur noch rudimentär touristische Schwerpunkte. Und die Blogger im Internet haben schlichtweg keine Relevanz durch die minimale Gefolgschaft. So schnell können Reiseträume zerplatzen. Für die Medienbranche heisst es Nachsitzen und wieder Qualität zu entdecken – und das Gespür für die Themen, die die Nutzer interessieren. Denn auch, wenn das Reiseressort doppelt so viele Abnehmer haben sollte, wie der Kulturteil: der steht unter Artenschutz. Leichtgewichtige Urlaubstipps ganz sicher nicht.

Wir freuen uns über Ihre Meinung!

Offene Worte jederzeit - aber bitte höflich und themenbezogen!

Kommentare

Danke für den interessanten Artikel. Wären Sie so freundlich, die Quelle der Eyetracking-Studie anzugeben? Herzlichen Dank!

Bettina Hagen

14. Februar 2016

Bitte wenden Sie sich wegen genauer Angaben zu der Studie am besten direkt an Peter Linden.
info@peterlinden.de

juergen

14. Februar 2016