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Wie du reist, der du bist?

Lautsprecher 190 – der „Was mit Reisen“-Standpunkt

cropped-drensek_kommentar.jpgWegen eines Filmprojekts sprach ich in den letzten Tagen viel mit Touristikern im Ruhestand, wie das eigentlich früher so war mit der lustvollen Landverschickung in die große, weite Urlaubswelt: Aus heutiger Sicht fast schon amateurhaft und mit einem Übermaß an Bauchgefühl. Aber das soll um Himmels Willen keine Diskreditierung der damaligen Leistungen sein. Es waren eben andere Zeiten, der Markt und der Vertrieb klar strukturiert, die Urlauber genügsamer und bereit zum vorkonfektionierten Ferienspaß. Und duldsamer, wenn gewisse Hürden vor den Würden der Erholung standen.
Ein bisschen erinnert mich das an meinen Start in den Journalismus. Bei der ehrwürdigen Aachener Volkszeitung standen sogar noch die Bleidruckmaschinen, als ich mein Volontariat anfing. Wir rüsteten gerade um auf Fotosatz. In der Redaktion klapperten die uralten, mechanischen Triumpf Adler Schreibmaschinen – ich hatte eine olivgrüne Matura, die 25 Kilo wog und unverwüstlich mein Zweifinger-Stakkato ertrug, mit dem ich heute noch meine Texte tippe. Manuskript in die Rohrpost – und gut. Journalistisch bin ich heute natürlich viel weiter, als vor 35 Jahren, aber ich würde wahrscheinlich in jeder Zeitungsredaktion von heute an der Technik erst mal scheitern. Trotzdem: Unsere Geschichten damals waren gut. Und die Konzentrationsfähigkeit inmitten des Höllenlärms einer Redaktion kurz vor Abgabeschluss um 18 Uhr prägte fürs Leben.
Wenn Touristiker darüber plaudern, wie sie damals zur gleichen Zeit Kataloge machten, Hotels auswählten und Preise kalkulierten, wähnt man sich auch auf einem anderen Stern.
Heute werden nicht mehr Destinationen entdeckt, sondern Urlaubsbedürfnisse. Nicht ganz uneigennützig haben die meisten Veranstalter maßgeschneiderte Zielgruppen-Konzepte vor allem für exklusiv buchbare Hotels entwickelt. Und da war schon nix mehr mit try and error. Zum ersten Mal wurde uns die soziologische Landkarte präsentiert mit Urlaubs-Typen, wie aus dem Labor.
Der industrielle Tourismus wird wissenschaftlich. Ist er deshalb erfolgreicher?
Gerade präsentiert Amadeus seine Zukunftsstudie, wie die Reisenden sich in den kommenden 15 Jahren entwickeln. Sollen. Das geht vom „Selbstdarsteller im Netz“, der seine Entscheidung komplett ins Internet verlagert, dem „Kulturpuristen“, der auch, wenn es unbequem ist, das Authentische sucht, bis hin zum „Reiseethiker“, der moralische und ökologische Prioritäten setzt bei der Auswahl seines Ziels. Natürlich gibt es weiterhin, zum Glück für die Industrie, den „Schnörkellosen“, der das Rundum-Sorglos-Paket sucht, den „Pflicht-Reisenden“, der eigentlich Balkonien ganz schön findet, aber – halb zog man ihn, halb fiel er hin – dann doch „richtigen Urlaub“ macht und sich bloß nicht anstrengen will, und als Gegenpol den „Reise-Hedonisten“, der es sich einfach nur ultimativ gut gehen lassen will nach dem Motto: „Was lacostet die Welt? Geld spielt keine Rolex“
Das Amüsante bei solchen Untersuchungen ist: sie klingen zwar perfekt, aber haben doch etwas Pippi-Langstrumpf-Haftes: „Ich mach mir die Welt, Widdewidde, wie sie mir gefällt…“ Und ich stell mir gerade die Touristiker vor, wie sie über diesen Blaupausen ihrer Klientel hocken und für jeden Deckel das entsprechende Kästchen suchen. Gleichzeitig konfrontiert mit der normativen Kraft des Faktischen, sprich, einem unüberschaubaren Angebot der Partner, die nicht unbedingt geschmacks-, und stilsicher ihre Immobilien und Erlebnis-Pakete verhökern wollen…
Urlaub konfektionieren hat heute eine Perfektion erreicht, von der man vor 30 Jahren nur träumen konnte. Das steht außer Frage. Die Vielfalt kann geradezu erschlagen. Die individuellen Kombinationswünsche sind fast unbegrenzt.
Aber, ohne jetzt langweilig klingen zu wollen: Brauchen wir eigentlich diese Vielfalt? Langsam würde mich schon interessieren, ob der Urlauber heute tatsächlich so ganz anders und feinziselierter reist, als vor 30 Jahren. Oder ob all diese Analysen und Handlungsanleitungen und Technik-Innovationen eher self-fulfilling prophecy sind. Ersonnen von Managern aus der Roland-Berger-McKinsey-Boston-Consulting-Retorte, die eben perfekt ausgebildet sind, aber denen eines fehlt für die Strategie: Stallgeruch und touristisches Bauchgefühl.

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