Reiseradio 105 – Behindertengerecht wird Barrierefrei: Tourismus soll Chancen erkennen / Von der Transsib zum Orient-Express – Lernidee Erlebnisreisen / Wie trocken ist eine Linzer-Torte? / Jazzfestival Bozen
Manchmal sind es ja Kunstformulierungen, die haarscharf am Label „Bösdeutsch“ vorbeischrammen, weil sie bewusst vernebeln, anstatt klar zu benennen. „Freisetzen“ statt „Entlassen“ ist so ein Beispiel. Aber auch im Reisebereich zum Beispiel die Schwurbelwörter Klimaneutral oder Luftverschmutzungsrechte suggerieren Gutes, wo schlechte Verursachung getarnt wird. Das ZDF hat vor Jahren die leicht angestaubte und fragwürdige Etikettierung ihrer Sozial-Lotterie „Aktion Sorgenkind“ aufgehübscht durch „Aktion Mensch“. Freigiebig sein durch verbalen Wohlfühlfaktor.
Ein ähnliches Phänomen beobachten wir gerade bei einem anderen, sehr wichtigen Aspekt von Reisen: dem Behinderten-gerechten Tourismus. Die Sorglos-Branche hat nämlich leichte Berührungsängste gegenüber allem, was Wohlgefälligkeit stören könnte. Im Anglo-Amerikanischen Raum wird deshalb vermeintlich politisch korrekt gleich ganz glattgebügelt. Es geht nur noch bei der Zielgruppe um Menschen mit „special needs“. Und bei uns wird das Problem jetzt auch geweitet, um es schöner benennen zu können: aus Behinderten-gerecht wird Barriere-frei. Und schon gibt es keinen Widerhaken mehr im Kopf.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat jetzt ein Projekt angeschoben, Barrierefreiheit zum Markenzeichen des Deutschland-Tourismus zu machen. Das hört sich erstmal wunderbar an, aber ist natürlich – wenn schon keine Mogelpackung, dann doch erst ein bescheidener Anfang. Denn in Schritt 1 geht es nur um Papier und Standards und Label. Bis Ende 2013 sollen das „Deutsche Seminar für Tourismus“ in Kooperation mit der „Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle“ (auch wieder so eine freundliche Vernebelung) erst mal einen Wissenspool aufbauen. Dann waren ja Wahlen, und dann sieht man weiter. Oder auch nicht. Ich sprach mit Staatssekretär Ernst Burgbacher und DSFT Geschäftsführer Rolf Schrader über diesen Versuch der Sensibilisierung und Qualifizierung. Und dann noch mit einem Praktiker eines Unternehmens, wo Barrierefreiheit schon längst praktiziert wird: Heiko Kain, dem Direktor Sales und Marketing des Berliner Scandic Hotels. Wirtschaftlich sehr erfolgreich übrigens – womit es für die Reisebranche noch interessanter wird.
Am Samstag war Showtime auf Gleis 11 des Berliner Hauptbahnhofs. Seit Ewigkeiten zum ersten Mal stand der legendäre Orient Express wieder in der Hauptstadt – bereit zur Fahrt nach Venedig mit dem kleinen Umweg über Hamburg. Die beiden Veranstalter Windrose und Lernidee hatten zahlungskräftige Reisende für diesen Nostalgietraum begeistern können. Bis Hamburg fuhr ich mit, als halbblinder Passagier in der Wurzelholz-Kabine von Lernidee-Geschäftsführer Thorsten Haferkamp. Und nutzte direkt mal die Gelegenheit für ein Gespräch über 25 Jahre Spezialistentum vorwiegend auf der Schiene.
In der letzten Sendung gab es viel schmunzelndes Feedback über die Nippelstory der Original Mozartkugel und die geschmacklich interessante Bosnia Wurst aus Salzburg. Heute lege ich noch eins nach: die Linzer Torte. Angeblich die älteste Torte der Welt. Verteufelt von den Liebhabern der Cremeschnitten und Sahnebomben, aber fast so erfolgreich, wie die Sachertorte. Und weil so robust, auch perfekt für den Versand geeignet. Der originale Linzer Konditor Leo Jindrak lüftet das süße Geheimnis.
Ende des Monats klingt es ganz anders im Südtiroler Bozen: Dann ist nämlich Jazzfestival, und kitschige Heimatkapellen haben Spielverbot auf den Musikbrettern und in den Clubs der Stadt. Wir haben schon einmal Klaus Widmann getroffen, den unermüdlichen Spiritus Rector der musikalisch so anspruchsvollen Veranstaltung, und mit ihm ein bisschen philosophiert, wie viel schräge Töne das aufgeräumte Südtirol so verträgt.