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Das Traumschiff muss bleiben

Lautsprecher 179 – der „Was mit Reisen“-Standpunkt

cropped-drensek_kommentar.jpgMan kann in diesen Tagen etwas traurig sein über den Orkan, der gerade die MS Deutschland, das ZDF Traumschiff, durchschüttelt. Klar, es ist nur ein Nischenprodukt auf dem Kreuzfahrt-Markt. Aber eines mit hohem Symbolcharakter. Ohne die Verführung mit Hilfe von Wolfgang Rademanns Fernseh-Schmonzette würden die schwimmenden Hotels in 20 Jahren kaum einen Wachstumsboom von fast 850 Prozent erzielt haben und heute nicht über 2 Millionen Deutsche jedes Jahr an Bord gehen. Ja, ok, sie tummeln sich eher auf AIDA und Co, lieben es leger statt vertütelt und zahlen nur einen Bruchteil der sportlichen Preise, mit denen das sich selbst so sehende einzige Grand-Hotel auf See versucht, die Kabinen zu füllen.
Und ja, die Deutschland ist aus der Zeit gefallen irgendwie. Sie ist in ihrer Einrichtung so liebenswert verkitscht, dass man an manchen Orten Augenkrebs befürchten muss. Sie hat Kabinen, die so altmodisch, aber vom Material her hochwertig, eingerichtet sind, dass sie allenfalls die Senioren-Residenz von Baden-Baden kopieren, aber nun ganz und gar nicht für modernes Wohnen auf See stehen. Mit Bullaugen und ohne Balkon – der auch nicht kommen wird nach dem Werftaufenthalt. Allenfalls ein Austritt wird in die Stahlwand gefräst. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Erst recht nicht, wenn der Prospekt derzeit noch eine Preistabelle beinhaltet, dass einem die Ohren klingeln. Die hat schon fast MS-Europa-Niveau.
Allerdings ist Niveau auch ein gutes Stichwort. Denn das kann man der Deutschland nicht absprechen. Hier wird wirklich noch Service zelebriert, der bei den Dickschiffen der Branche allenfalls praktiziert wird für die Suitenbewohner und in ihren Refugien an Bord; abseits des Kreuzfahrt-Pöbels, der sonst das Schiff bevölkert in den Selbstbedienungs-Restaurants und auf dem trubeligen Sonnendeck. Hier flattert noch die deutsche Flagge im Wind – und die bürgt für Qualität in der menschlichen Software, die einen Trip auf dem Traumschiff immer noch zum Genuss macht.
Wenn man mit Touristikern spricht, werden all die Argumente, die ich gerade zusammenfasste, auch genannt, bevor der Daumen runtergeht. Dieses Schiff sei nicht mehr zu retten in Zeiten von Mein Schiff. Nicht vom Angebot her, und nicht von den Kosten. Der Markt hätte sich gewandelt. Wirklich? Ist das nicht nur unsere Projektion als Profis mit der großen Übersicht und der Möglichkeit zum Vergleich? Letzte Woche übertrug das ZDF eine fünf Jahre alte Folge des Traumschiffs. Schon x-mal durchgenudelt im Programm. Und trotzdem schalteten 4,57 Millionen Zuschauer ein. Als Kontrastprogramm zum Länderspiel. Eine Quote von 14 Prozent. Das erreichen die Privatsender noch nicht einmal mit neuen Spielfilm- oder Serienproduktionen.
Und, Wolfgang Rademann wird es mir verzeihen, sie schauen das Traumschiff nicht, weil die Dramoletten so fein ziseliert und ein Gral der Schauspielkunst sind. Es ist die Sehnsucht nach dem kleinen, überschaubaren Erlebnis auf See, das gemütliche Ankommen im Reise-Klischee, wo das Ankern, die Folklore und die Postkarten-Szenen an Land eine Melange menschelnder, fast individueller Qualität bilden.
Deshalb ist das Traumschiff die erfolgreichste „Reisesendung“ des ZDF; auch wenn es einen Dokumentarfilmer wie mich da schüttelt bei diesem Gedanken. Und deshalb sollte die Kreuzfahrtbranche jetzt nicht hämisch auf FTI schauen, das sich derzeit schwertut, gleich für zwei leicht abgewrackt herunter kommentierte ZDF-Fernseh-Kreuzer Gäste zu finden. Wenn man die Wirtschaftsteile liest, möchte es einen nur gruseln, wie viel Arroganz, fast schon kriminelles Zurechtbiegen von Finanzierungen und touristische Inkompetenz die Finanzheuschrecken anscheinend beim Schlingerkurs der Deutschland offenbart haben. Aber dem touristischen Produkt wäre es zu wünschen, dass es dem deutschen Kreuzfahrt-Markt diese Woche beim Showdown erhalten bliebe. Mit oder ohne Schwarz-Rot-Gold am Heck.

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