Neues Jahr, neues Glück. Und deshalb habe ich mir gedacht, wir sollten schon mit dem Reiseradio in dieser Sendung Nummer 199 anders in das Jahr 2016 starten, als es unsere übliche Strategie ist. Es bleibt auch heute natürlich das gewohnte und geschätzte Zuhör-Radio, wo die Interviewpartner nicht auf ein vermeintlich knackiges Zitat reduziert werden, sondern die Themen ausführlich behandelt werden dürfen. Authentisch, lang und erschöpfend, aber dabei auf jeden Fall erfrischend und niemals langweilig, das ist wie immer der Anspruch dieses Projekts. Und zitierfähig, weil das, was Sie hören, nicht interpretiert und, bis auf kleine Säuberungen von Versprechern, unbearbeitet in die Sendung kommt. So viel Original-Äußerung finden Sie nirgendwo sonst in den touristischen Fachmedien.
Das, was heute anders ist: Es gibt keine vier oder fünf Gesprächspartner, wie sonst, sondern nur einen. Aber was für einen! Mein Lieblingsprofessor Karl Born hat wieder einmal mit mir telefoniert. Wir versuchen einen ausführlichen Ausblick auf das Jahr 2016. Aber, wie Sie sich denken können, ist das eher eine bissige Abrechnung mit Themen, die uns schon heute drücken, und die, da braucht man kein Prophet zu sein, uns auch die kommenden Monate begleiten. (mehr …)
Das Reiseradio ist gerade zurück von einigen entspannten Tagen auf Hiddensee, der kleineren, ruhigen Schwester von Rügen. Was es von dort „Neues“ zu berichten gibt, darüber mehr in der nächsten Sendung. Aber der Besuch dieses nahen, unkomplizierten Ziels passt ganz gut als gefühlter Kontrapunkt zu den Schwerpunkten dieses Reiseradios: Menschenrechte im Tourismus, Krise beim größten deutschen Studienreise-Veranstalter, Innovationsdruck bei Kurorten, Wandel einer Strategie bei Gesundheitsreisen. Von all dem scheint Hiddensee weit entfernt. Obwohl so weit im Norden, passt ausgerechnet ein bayerischer Spruch perfekt zur Gefühlslage in der Ostsee: Mir san mir. Noch ist das größte Problem die Verteilung der Zimmer in der Saison und das Bewältigen der Tagesgäste, die auf das scheinbar Sorgen-, und Autofreie Eiland wollen – und das in großer Zahl. Natürlich braucht es auch hier neuer Strategien – darüber, wie schon gesagt, mehr in der nächsten Sendung. Aber verglichen mit den Herausforderungen, über die wir heute berichten, ist Hiddensee immer noch eine Insel der Seligen…
„Menschenrechte im Tourismus“! Diese zu wahren, ist ein Riesenanspruch, der vor allem die großen Veranstalter mit ihrem Volumengeschäft grübeln lässt. Hat man sich gerade erst doch mit dem dicken Brocken Umwelt im Bereich Nachhaltigkeit arrangiert, warten nun Herausforderungen auf eine Geschäftsführung, die noch schwerer zu bewältigen sind; die aber bei Ignoranz mit einem kaum noch kontrollierbaren Krisen-Pendel zurückschwingen. Marktführer TUI hat es unsanft erleben müssen, als der ARD-Markencheck die Arbeitsbedingungen in der Türkei anprangerte. Durchaus zu Recht, wie man auch im Konzern einräumen musste; stellvertretend für die gesamte Branche. Beim Thema Menschenrechte geht es nicht mehr „nur“ um Müllvermeidung, Energiesparen und einige Ökogirlanden für das gute Gewissen. Vor allem die Arbeitsbedingungen in den Zielländern, die oft an rechtlose Situationen in der Dritten Welt erinnern, lassen sich schlecht mit dem unbeschwerten Sonnenschein-Image der Reiseindustrie verbinden. Problem erkannt, aber noch lange nicht gebannt. Denn hier müssen wirklich alle an einen Tisch. Auch die Umwelt-Ignoranten bei den Veranstaltern, die es durchaus auch heute noch gibt, und die billig im Windschatten der anderen mitsegeln. Erste Leitlinien sind das Ergebnis eines Runden Tischs. Welche Schwierigkeiten es gibt, diese überhaupt zu erkennen und zu formulieren, darüber spreche ich gleich mit Matthias Leisinger, der sich beim Schweizer Veranstalter Kuoni um Nachhaltigkeit kümmert.
Übrigens: wer mehr über die Problematik Menschenrechte im Tourismus, und was sie für die Industrie bedeuten, wissen möchte…: auf der Reiseradio-Webseite finden Sie auch im original die Keynote, die ich vor den Initiatoren des Runden Tischs gehalten habe.
Einer der Unterzeichner der Leitlinien ist Peter Mario Kubsch von Studiosus. Klar, seine Klientel dürfte sehr affin zu diesem Thema sein. Wer ein Land intensiv kennenlernen und begreifen will, der macht vor den real existierenden Problemen nicht die Augen zu. Und würde auch kritisch nachfragen, wenn der Veranstalter seines Vertrauens da nicht vorbildlich agiert. Studienreisen sind eine exklusive Nische. Da würde man meinen, sie ist auch immuner gegen Krisen im Tagesgeschäft. Weit gefehlt: der schwache Euro Mitte 2012, als man die Reisen für dieses Jahr einkaufen musste, und die negativen Schlagzeilen gerade über die Länder, die Stammziele für wissbegierige Entdeckergruppen sind, machten Studiosus im langsam zu Ende gehenden Geschäftsjahr richtig Sorgen. Der Umsatz konnte zwar gehalten werden; aber nur, weil die Reisen massiv verteuert waren. Ob die rückläufigen Teilnehmerzahlen 2013 ein düsterer Vorbote sind für eine generelle Krise bei hochwertigen und gar nicht preiswerten Studienreisen, darüber unterhalte ich mich gleich mit Peter-Mario Kubsch.
Letzte Woche tagte mein Berufsverband, die Vereinigung Deutscher Reisejournalisten, in Bad Kissingen. Ein hübsches, kleines Städtchen mit großer Vergangenheit, immer noch angeblich der bekannteste Kurort der Republik, aber trotzdem in die Jahre gekommen. Nicht baulich. Das meiste in den Kuranlagen ist wunderbar gepflegt. Aber inhaltlich. Wie lange kann man noch mit der Kur Kasse machen? Und was muss man konkret tun, um andere Gäste zu interessieren für seine Angebote? Das Trinkwasser aus den berühmten Quellen ist zwar nach wie vor so gut wie zu Kaisers Zeiten, aber läuft Gefahr, marketingmäßig zu versickern, wenn man die Nostalgie nicht mit frischen Ideen aufpeppt. Frank Oette ist der neue Kurdirektor von Bad Kissingen. Mit ihm sprach ich über sein Konzept.
Natürlich muss man sich im Reiseradio für die Touristik-Profis auch über das Große, Ganze, unterhalten. Dafür ist Georg Overs vom Bayerischen Heilbäderverband zuständig. Denn Bad Kissingen ist fast überall, wo der Zusatz Bad den Ortsnamen schmückt. Die Kur ist zwar nicht so tot, wie ihr fälschlicherweise oft angedichtet wird, aber sie muss mit neuer Emotionalität aufgeladen werden. Aber bitteschön mit medizinischem Sachverstand und ohne Wellness-Chi-Chi. Welche Herausforderungen das sind, berichtet uns gleich Georg Overs als Funktionär und Praktiker.
Das Reiseradio denkt gerade darüber nach, was denn so hängen geblieben ist nach all den Programm-Präsentationen der Veranstalter. Da muss man schon lange grübeln, um eine griffige Überschrift zu finden. Vielleicht brachte es Michael Tenzer von Thomas Cook am ehesten auf den Punkt: die etablierten Veranstalter befinden sich momentan in einem Transformationsprozess. Es ist ein radikaler Umbau, der darüber entscheiden wird, ob die Unternehmen mit der größten Erfahrung im Tourismus auch diejenigen sein werden, die künftig und langfristig das größte Geschäft machen.
Die Zeit des skeptischen Beobachtens der neuen Player am Markt ist endgültig vorbei. Der Kunde zwingt dazu, der längst nicht so konservativ, bequem und treu ist, wie man sich das bisher einreden wollte als Markenartikler. Die Dickschiffe der Branche müssen Fahrt aufnehmen – und, um im Bild zu bleiben, nicht weiter mit bewährtem Schweröl im Motor und Sextant auf der Brücke, sondern mit neuesten sparsamen und Umwelt-schonenden Verbrennungsaggregaten und Computer-Navigation vom Feinsten.
Das war die wesentliche Aussage hinter den immer wieder bunten und überhaupt nicht sonderlich überraschenden Urlaubsbildchen. Die Kräftebündelung findet derzeit im Maschinenraum statt und nicht auf der Zielgebietsbühne mit Innovations-Girlanden.
Und eine zweite Konzentration von Kraft und Know How wird es geben. Einmal im Panic Room des Frachters. Sprich, in den Krisenzentralen der Veranstalter. Denn die Unruhen in den Urlaubsgebieten, die Naturprobleme und brancheninterne Ausfallhilfen sind nicht mehr die Ausnahme, sondern der Dauerzustand. Dabei aber auch gleichzeitig die Chance, Kompetenz zu zeigen beim Kunden.
Last but not least will der mittlerweile reiseerfahrene Urlauber umgarnt werden vom etablierten Veranstalter, wenn er ihm schon mehr Geld geben soll, als den „Billich-will-ich“ Konkurrenten vorwiegend aus dem virtuellen Raum: Touristikkonzepte, die perfekt auf unterschiedliche Bedürfnisse und Zielgruppen entwickelt werden und ein Zielgebiets-Service, der heute bei weitem mehr können muss, als den Transfer zu organisieren und bei einem klebrig-süßen Welcome Cocktail Ausflüge zu vertitschen.
Von daher waren die Pressekonferenzen der letzten Wochen speziell für die Kollegen von den Publikumsmedien inhaltlich eher nicht der Brüller, weil kaum Schlagzeilenträchtig im Ergebnis. Wenn man den organisierten Tourismus aber intern in seiner Struktur beobachtet, dann wird man in einigen Jahren rückblickend sagen, dass das Kommando 2013 hieß, Leinen los und richtig Fahrt aufnehmen zu neuen Ufern. Zum Glück zu Zeiten, da die See noch ruhig ist und sich angesichts der bleibenden Reiselust keine konjunkturellen Stürme am Horizont zusammenbrauen.
Der letzte im Reigen der Veranstalter CEOs, die sich von mir befragen ließen, ist Michael Tenzer von Thomas Cook. Was er zu meinen Thesen sagt, können Sie gleich hören. Und ein kleines Geheimnis erfahren, wohin ihn seine Träume führen, wenn er mal Zeitreise spielt.
Die Pressekonferenz von Thomas Cook fand übrigens im Epizentrum der deutschen Reiseziele statt: in Essen. Ja, da war doch mal was… Richtig 2010. Essen und die Metropole Ruhrgebiet als Europas Kulturregion. Gab es nach der 365-Tage-Party einen gehörigen Kater? Mitnichten, meint Axel Biermann vom Ruhrgebietstourismus und erläutert im Reiseradio gleich die erfolgreiche Strategie seit „the day after“.
Nächstes Thema: Travelzoo. Einen größeren Kontrast zur nostalgischen Reiseplanung mit Katalogen im Wohnzimmer und Familienrat kann es kaum geben. Mittwoch um 11 Uhr ist Schnäppchen-Alarm in hunderttausenden E-Mail-Postfächern und dann wird, wenn das limbische System vom Travelzoo-Newsletter genug gekitzelt wurde, spontan gebucht. Der Wochenendtrip, oder sogar die Urlaubsreise. Fest konfektioniert und mit Extras und Rabatten aufgeladen, dass man kaum nein sagen kann. Ist das die neue Urlaubswelt? Christian Smart, der Geschäftsführer von Travelzoo, gibt uns gleich die Antwort.
Und damit wir die Zielgebiete nicht ganz vergessen, hab ich den Trip nach NRW genutzt, und mich in Klein-Japan, also Düsseldorf, von einer Japanerin aufklären lassen, ab wann man Sushi essen kann und warum man in Japan als Kunde durchaus arrogant sein soll, um keine Irritationen zu erzeugen… Sehr spannend.
Ein unfreiwilliges Selbst-Zitat zu Beginn dieser Sendung. Bereits kurz vor der ITB war ich in einer ähnlichen Situation für ein bittersüßes Bonmot: „Es ist nur ein kleiner Schnitt für den Chirurgen, aber ein großer Schritt für einen Reisejournalisten, der es gewohnt ist, in der Welt herumzulaufen…“ Es ist nach wie vor die Bagatell-Fußwunde, die ich mir bei einer beruflichen Wandertour in der gänzlich unschuldigen Schweiz zugezogen hatte, und die nach erfolgreicher Ignoranz über Monate hinweg im Februar dann doch den ersten chirurgischen Eingriff erforderte. Manche von Euch werden sich noch an den formschönen, so genannten Druckentlastungsschuh erinnern, mit dem ich durch die Berliner Messehallen humpelte. Man darf sich doch von so was nicht unterkriegen lassen…
Kleiner Tipp bei aller professioneller Reiselust: Seid nicht so dumm wie ich. Gestern die kleine, aber durchaus schockierende Neuigkeit: irgendwelche gefräßige Bakterien haben in den Monaten der zweiten Ignoranz – Pflaster drauf, und gut – anscheinend die Lust an meinen Knochen entdeckt. Morgen komme ich wieder unters Messer. Unter Umständen, wenn ich danach noch zum Sarkasmus fähig bin, habe ich dann vielleicht einen oder mehrere Zehen weniger, aber eine Tapferkeitsauszeichnung für Reisejournalisten mehr. So, wie die Polarforscher mit ihren abgefrorenen Gliedmaßen…
Egal, wie hauchdünn nun die Salamitechnik auch hoffentlich wird, die nächsten Wochen wird mein touristischer Kosmos sich wahrscheinlich auf ein bedingt inspirierendes Krankenhauszimmer beschränken. Warum ich, etwas ungewöhnlich, dieses offene medizinische Bulletin an den Anfang der Sendung stelle?: diese Ausgabe Nummer 112 – skurrilerweise die Notrufnummer – wird einige Zeit keine Nachfolgesendung haben. Ich bitte da um Verständnis. Aber es geht weiter. Keine Frage. Damit keiner erschrocken glaubt, das schöne Projekt des Reiseradios wäre etwa endgültig zu Ende. Mitnichten. Wie Paulchen Panther: es ist nicht das Ende aller Tage. Ich komme wieder. Keine Frage.
So, genug des Vorgeplänkels. Heute, aus aktuellem Anlass noch drei Gespräche, die nicht in die Warteschleifen-Umlaufbahn geschickt werden sollten. Ich habe mich in Baden-Baden mit Markus Orth getroffen, Mr. L’Tur. Vor Jahren hätte man noch eine einfache Gleichung gehabt: Shit-Wetter bedeutet Bomben-Last-Minute. So einfach ist die touristische Welt heute nicht mehr. Irgendwelche nicht verkaufte, fertig konfektionierte Pakete von Veranstaltern rest zu verramschen, ist in Zeiten von dynamischer Produktion schon längst nicht mehr das Erfolgsrezept von Anbietern wie L’Tur und Co. Heute werden zunehmend selbst Komponenten zusammengemixt und in den Preisvergleich geschickt. Dann ist man entweder Veranstalter oder eben nur Vermittler für günstigere Paketierer. Mit dem neuen virtuellen Haus-Veranstalter hlx, der mittlerweile ziemlich intelligent Reise-Typen und Wünsche zu Angeboten zusammenklöppelt, haben die Baden-Badener auch endlich Tritt gefasst. Kein Wunder, dass sie auf Leipzig sauer sind. Am vernichtenden medialen Urteil „Abzockfalle“ und seiner Verunsicherung beim Verbraucher knabbert mittlerweile die gesamte Internet-Reisebranche.
In gewisser Weise virtuell ist auch das Betätigungsfeld von Petra Stolba. Die Chefin der Österreich-Werbung arbeitet nämlich mit immateriellen Werten, um Urlauber in die Alpen-Republik zu locken. Die ganz großen Gefühle kann man aber nur schlecht anfassen oder in Bilder übersetzen. Glücksmomente als Leitmotiv für eine ganze Kampagne zu wählen, ist deshalb anspruchsvoll – um nicht zu sagen, verwegen. Wie Österreich bei ebenfalls nur bedingtem Sommer-Sonnenschein in unsere Urlaubsseelen möchte, das verrät die nationale Tourismus-Verführerin Petra Stolba gleich im Reiseradio.
Fremde Länder, fremde Sitten. Das kann im Urlaub ein böses Erwachen geben – oder auch eine blutige Nase. Innerhalb kürzester Zeit ist man heute mit dem Flieger in den exotischsten Umgebungen. Nicht wenige haben aber nach wie vor Deutschland im Gedanken-Gepäck. Mag sich die Kulisse auch ändern – Mir san mir. Das kann wunderbar unfreiwillig komische, kabarettistische Situationen ergeben, aber auch echte Verwerfungen verursachen. Der Studienkreis für Tourismus, der am liebsten möchte, dass alle Deutschen verantwortlich und völkerverständigend reisen, nimmt sich in seinen Sympathiemagazinen deshalb jetzt zunehmend das Fettnäpfchen-Weithüpfen zur Brust. Klaus Betz plaudert bei uns gleich vergnügt aus dem Nähkästchen des Urlauber-Gruselns.